Tommy Wild

Musician, Singer, Songwriter

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Ruinen von Gestern-Wohnraum von morgen

Ich sitze unter einem alten Walnussbaum und schaue beim schreiben in die vielschichtigen Bergketten der Pyrenäen im Abendlicht. Ab und zu purzelt eine Nuss und ich muss aufpassen, dass sie mir nicht auf die Nuss fällt. Die Kinder spielen im Kirchhof Fussball und von fern bellen ein paar Hunde. Fünf Meter vor mir taucht ein Hirsch auf, sucht nach den Essensabfällen, die er und seinesgleichen hier schätzen gelernt haben. Die Gegend ist voller Damwild und wir sehen jeden Tag bestimmt 5-6 mal ein paar Exemplare aus nächster Nähe. In den Lüften kreisen Geier, die eine Spannweite von 2,50m haben. Gestern morgen landete einer nahe unserem Zelt und wir konnten ihn eine Weile beobachten. Auf seinen beiden Beinen hüpfte er durch die Felsen und wir staunten nicht schlecht, wie groß diese Kerle sind. Dann verbarg er sich und obwohl wir ganz dicht waren, sahen wir ihn plötzlich nicht mehr zwischen den Bäumen. Erst als er startete hörten wir seine Riesenschwingen in der Luft schwirren und sahen ihn noch kurz, bevor er sich über die Bäume hinweg ins nächste Tal gleiten ließ. Jeden Tag segeln sie erhaben über uns hinweg, meist im Paar, manchmal auch sieben oder acht davon. Ihnen zu zuschauen ist eine Meditation an sich und wenn rundum kein unnatürlicher Laut zu vernehmen ist, dann ist es fast überirdisch schön die Luft durch ihre Federn zischen zu hören. Hier oben gibt es null Lichtverschmutzung und keinen Autolärm, wie sonst eigentlich überall. Soweit mein Auge reicht sind die Hügel bewaldet und die Dorfruine in der wir gerade wohnen, war bis in die 60iger Jahre belebt. Das heutige Naturschutzgebiet Alta Garrotxa wurde von Köhlern bewohnt und hier oben rauchte es damals gewaltig und der Wald war längst nicht so schön wie heute, da er systematisch abgeholzt wurde. Als die Holzkohle nicht mehr gebraucht wurde, verließen die Familien ihre Heimat und siedelten unten in der Ebene. Alles verfiel und wurde nur hie und da von ein paar Hippies heimgesucht, die hier ein freies Leben versuchten. Manche von ihnen erwarben Grundstücke und Ruinen und bauten sich etwas auf, anderes blieb dem Zahn der Zeit zum zernagen.

Heutzutage wünschen sich die Gemeinden, dass sich Menschen wieder ansiedeln und vermieten annähernd bewohnbare Ruinen für `nen Appel und’n Ei. Kein Strom, kein fließend Wasser, keine Müllabfuhr, eigentlich nichts von dem, was für uns alltäglich ist und um einzukaufen fährt man eine anstrengende Stunde durch wildes Niemandsland der bergigen Art. Dieser Preis ist allerdings nicht hoch für diese wunderschöne Erfahrung ursprünglichen Lebens. Hier kann wirklich alles in einem zur Ruhe kommen. Wir streunen durch die Terrassen der Hänge, finden riesige wilde Brombeerhecken, wilden Wein, welcher sich durch Feigenbäume rankt und winzig kleine, aber schmackhafte Äpfel und Birnen, derer man sich einfach so bedienen kann. Die Kühe des Nachbarn streifen weit und frei umher, ebenso Pferde und Esel. A apropos Esel: Ich habe uns unter einer Kiefer einen Waschplatz eingerichtet mit einem hängenden Wasserfass und einem aus flachen Steinen rund gefliesten Boden darunter. Auf einer Leine hängt das Handtuch und auf einem Stein liegt die Seife. Der Esel, der auch unser Vorzelt inspizierte verspeiste genüsslich die grüne Naturseife und aß mein kleines blaues Handtuch. Wenig später gab er es allerdings wieder ungewollt zurück, denn sein Magen schien nicht so erfreut zu sein…

Die Kirche wurde wie man so schön sagt im Dorf gelassen und besteht aus einem Turm ohne Glocke, einer kleinen Sakristei und dem großen Kirchraum. Allerdings wirkt dieser wie ein großes Wohnzimmer mit Steinbühne und Bücherregal, warum die Kirche jetzt auch Bibliothek heißt. Eine veraltete PA-Anlage steht herum und unter der Decke hängt ein verrückt bemaltes Bettlaken mit nackt tanzenden Menschen mit vielen Pilzen um sich herum. In der Sakristei sieht es aus wie in einer alten Piratenspelunke oder einem Jugendzentrum der 70iger Jahre: Buntbemalte Wände, Poster von Bob Marley und eine auf zwei Weinfässern gezimmerte Holztheke. Im schönsten Haus nebenan wohnt ein altes buckliges Männlein, mit Panoramaküche vom feinsten, Damwild vorm Küchenfenster inclusive. Weiter oben, oberhalb der Kirche wohnen in einem Haus drei Parteien mit unterschiedlichen Eingängen. Alles ist winzig und knorrig alt. Strom gibt es von der Sonne, Wasser vom Regen und einer nicht gerade üppigen Quelle, fünfzig Meter weiter. Ein Kompostklo für alle, aber das ist ein Kunstwerk der Zimmermannszunft. Da waren mal ein ganzer Trupp Zimmermänner und Maurer auf der Walz, die hier durchkamen und haben sich in tollen Arbeiten verewigt. Zur Schule läuft man eine halbe Stunde. Ja, richtig gehört, Schule. In der Gegend gibt es elf Kinder, sieben Grundschüler und vier Kindergartenkinder und die haben eine eigene Schule. Wir sind jetzt knapp zwei Wochen hier und fühlen uns gut bei diesem Leben hier. Leider gibt es keine weiteren Wohnflächen gerade und die restlichen Mauerreste und Ruinen gehören irgendjemanden und warten darauf neu errichtet zu werden. Wir haben ein Fest der Katalanen miterleben können, deren Ahnen hier gelebt und gearbeitet haben. Jedes Jahr treffen sich diese Familien hier oben zu einem Volksfest und erinnern sich an ihre Wurzeln. Das war sehr aufschlussreich. Dieses Wochenende gab es Kindergeburtstag. Auch das war sehr spannend, denn von überall her kamen Verwandte und Freunde herbei und es entstand ein wilder Mix von Einheimischen, Deutschen und Katalanen aus unterschiedlichen Regionen. Am Montag werden wir weiter ziehen. Vorerst hinunter ans Meer in ein altes Fischerdorf, was uns empfohlen wurde. Danach sind wir gespannt, wie es weiter geht. Wir strecken gerade unsere Fühler nach Irland aus…

2 comments

    1. Hey Markus, was uns an Irland reizte, war die Tatsache, dass es hier auch möglich ist seine Kinder ohne Schule aufwachsen zu lassen. Zudem soll es ja sehr schön sein. Viele Leute schwärmen von dieser Insel. Wir sind mittlerweile hier und es lässt sich nicht besonders gut an, aber wir sind zuversichtlich und geben nicht so schnell auf. Leider sind die Unterkünfte übermäßig teuer, was in unsere dünn gewordene Reisekasse nun ein mächtiges Loch schlägt. Aber da wir nun schon mal hier sind, wollen wir der Insel und dem Leben hier dennoch die Chance geben auf uns zu wirken. Viele Grüße in die Schweiz!

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