Tommy Wild

Musician, Singer, Songwriter

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Irische Odyssee

Kuhweiden, so weit das Auge blicken kann. Enge Sträßchen mit „hidden dips“, d.h. Schlaglöcher, die erst kurz vorher sichtbar werden und mächtig in die Stoßdämpfer hauen. Irische Straßen stehen den sardischen in Nichts nach sozusagen. Das Navi führt uns, Landkarte haben wir (noch) keine von hier. Ich orientiere mich lieber per Karte, dann hat mein innerer Kompass ein Bild, mit Navi fühle ich mich eher, als ob mich dauernd jemand an der Nase rumführt. Seltsam? So bin ich halt.

Es scheint, als würden wir zum Ende unserer Reise nochmal hart geprüft werden. Wir sind gestresst, da sich nichts so fügt, dass wir es für gut befinden. Das erste Date für heute platzte, da die Familie plötzlich den Magen-Darm-Virus bekam. Auf der Strecke ins Cork-County hielten wir in Mallow und verloren uns im Gewühl, wie einst Bolle zu Pfingsten in Pankow. Das führte mitunter zu emotionalen Ausbrüchen, die schwächend auf unsere familiäre Harmonie wirkt. Jetzt sind wir in einem Ferienhäuschen in der Nähe von Bantry, wohin wir am Nachmittag noch einen kleinen Stadtbummel machten. Danach überkam mich voll der Blues, welcher sich aber mit Musik auf der Ukulele, einem leckeren Salat und einer Malaktion mit den Kindern, wieder beruhigte. Stephanie ist so weit, dass sie so schnell wie möglich von der Insel runter will. Ich hingegen hab die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich noch etwas Gutes ergibt. Morgen möchte ich was von der faszinierenden Atmosphäre am Atlantik erleben. Ich hoffe, das Wetter und die Lust von uns Vieren sind dafür auf einen Nenner zu bringen. 

Einen Tag später sitze ich jetzt mit Schafswollsocken und einer neu erstandenen irischen Wolldecke auf dem Sofa und freue mich über die sich ergebende Situation. Der Besuch bei der Familie war schön und informativ. Die Kinder (sie haben vier) mochten sich auf Anhieb und wir bekamen einen Eindruck davon, wie sich hier leben lässt. Bezeichnend fand ich, dass sich auch hierzulande viele Suchende aus deutschen Landen nieder gelassen haben, denn wie uns berichtet wurde gibt es eine große Community an Familien, die es hierher verschlagen hat, um für und mit mit ihren Kindern den Freiraum zu finden, den es benötigt neue Wege auszuprobieren. Schön, dass es doch noch Nischen gibt auf dieser Welt.

Zurück in der Wohnung vereinbaren wir mit unserer Vermieterin drei weitere Nächte zu einem verbilligten Preis, Cash, vorbei an der Buchungsagentur. D. h. wir können die nächsten Tage noch die Gegend erkunden und ich kann mich in aller Ruhe des Nachts um mein Exposé kümmern. Was danach kommt steht noch in den Sternen, von denen wir durch die dauernd wechselnde Bewölkung leider kaum etwas zu sehen bekommen. Aber der heutige Ausflug nach Glenngariff zeigte uns ein wenig von dem Irland welches man von schönen Fotos her kennt. Wechselnde Lichtspiele tauchten die faszinierende Küstenlandschaft in ein magisch anmutendes Ambiente und das vorerst Fremde in diesem Land findet seinen Weg sofort ins Herz und lässt Vertrauen wachsen, das alles gut so ist, wie es ist. So leben wir weiter im Moment und sind dankbar für das Geschenk, die Welt und das Leben von so vielen bunten Seiten betrachten zu können.  

Weitere zwei Tage weiter und einem Wetter, welches einem nebligen Rhöner November das Gruseln lehren könnte, sind wir weich gekocht: Wir buchen die Fähre auf den Kontinent. Unsere Reisekasse leert sich allein für Übernachtungen so, als ob sie keinen Boden mehr hätte. Schließlich wollen wir nicht ohne einen Penny wieder zuhause ankommen und von Irland nichts gesehen haben, weil die atlantische Wetterküche alles in Regen und Nebel taucht. Das können wir billiger haben. Falls sich der Wetterbericht über Nacht nicht schon wieder ändert, sollten wir morgen Glück haben und wieder etwas Licht abbekommen.  

Während die Kinder und Stephanie heute Nachmittag einen weiteren Besuch bei der  Family machen, zieht es mich hinaus auf die benachbarte Halbinsel zum Mizen Head. Die raue atlantische Küste sieht bei dem grauen Wetter fast schwarz aus und verbreitet den Charme eines bekannten Alfred Hitchcock Films. Bei Ebbe ragen die veralgten dunklen Felsen, wie versteinerte Monster aus dem Schlick und der am Wegesrand stehende Steinaltar aus Zeiten, wo hier noch Menschen geopfert wurden, lädt ein, sich einer regen Fantasie hinzugeben. Wer Horrorfilme liebt kommt hier auf seine Kosten. Da ich dieses Genre so ganz und gar nicht bevorzuge, kommen mir auch gar keine schlechten Gedanken und die „Vögel“ bei der Wattwanderung flößen mir auch keine Furcht ein. Im Gegenteil. Ihre Vielfalt in Gestalt und Gesang ist von meditativer Schönheit und ich verliere mich barfuß in dieser bizarren Landschaft aus Muschelkalk und salziger Brise bis der Kuckucksruf meines Handys mich heraus reißt. Olivia hat Sehnsucht nach Papa und fragt, wann ich komme. So mache ich mich auf den Rückweg, obwohl es bestimmt cool geworden wäre in dem Pub in Crookhaven einzukehren, der ein großes Schild draußen hängen hat: We have open 364 days a year! Da frag ich mich nun, welcher denn dann der Ruhetag sein wird?

Ich wache früh auf und da wir gegen 10:00 Uhr auschecken müssen, mache ich mich schon ans Frühstück vorbereiten. Seit es nicht mehr so warm ist, kochen wir morgens meist ein gutes Porridge mit Zimt und Kurkuma. Dann gibt es jede Menge Zutaten, die wir individuell darunter mischen, angefangen mit Obst, Kokosflocken, Chia- und Sonnenblumensamen, Walnüsse oder Mandeln, Feigen, Datteln…,je nachdem was unsere Reiseküche so hergibt. Hier in Irland fällt man schnell in die Toastbrotfalle, denn wenn das warme Brot knusprig aus dem Toaster hüpft, dann hat Porridge keine Chance mehr. Deswegen gibt’s zuerst Porridge und dann Toast. Gut gestärkt packen wir unsere sieben (undsiebzig) Sachen zusammen und verstauen alles im Hänger. Dabei mache ich die Entdeckung, dass die harten Regentage unsere stapelbaren Bananenkisten, in denen unser Proviant verstaut ist, ziemlich durchnässt haben. Was soll’s, die Tage sind eh gezählt, denn in drei Tagen geht unser Nachtschiff zurück nach Frankreich. Doch bis dahin gibt’s noch eine gehörige Portion Irland. Heute soll das Wetter besser werden. Davon ist bis jetzt nur soviel zu merken, dass es nicht regnet, aber der Himmel, welcher kurz über den Häuserdächern anfängt, ist nach wie vor dunkelgrau. Unser blauer Lastzug rollt wieder und wir tuckern gemächlich nach Bantry, dann nach Glenngariff und weiter nach Kenmare, dem Tor zum Ring of Kerry. Ja, doch, der Himmel hebt sich und ein blasshelles Zentrum in den Wolken verrät, dass sich dahinter wohl die Sonne verbergen muss. Über den Caha Pass gibt es ein altes Steinhäuschen, wo früher wohl eine Frau illegal Kartoffelwhiskey gebraut hat und sehr wichtig dadurch war. Heute ist hier eine kleine Teestube, eine Art Minimuseum, in dem gezeigt wird wie früher in so einem Häuschen gewohnt wurde, inclusive verrauchter Küche aus dem Kamin, natürlich wie die Alte den Schnaps gebrannt hat und nach hinten integriert, ein Laden mit Wollwaren aller Art aus irischer Schafwolle. Und hier werde ich endlich fündig und kaufe mir meinen neuen Winterpullover. Seit Jahren suche ich nach einem schönen Wollpullover: Hier finde ich ihn, genial. Dann geht es bergab bis nach Kenmare. Wir schlendern durch die Mainstreet von diesem kleinen Städtchen und entdecken wieder so tolle Künstlerläden. Da tun sich einige regionale KünstlerInnen und KunsthandwerkerInnen zusammen, mieten sich eine Ladenfläche an und stellen gemeinsam ihre Werke zum Verkauf. Das sind echt schöne Sachen, absolut kein Mainstream und immer regional. Die Landschaft hier ist im Vergleich zu Kilkenny ein absoluter Traum, doch es kommt noch besser. Ohne zu wissen wo unsere nächste Unterkunft verortet ist, stellt sich heraus, dass sie im Black Valley liegt, welches wirklich das i-Tüpfelchen an irischem Landschaftscharme ist. Ich bin überwältigt von soviel ursprünglicher Schönheit. Ich schaue durch die Windschutzscheibe und sehe Musik mit meinen Augen. Diese Welt aus grünen Berggesellen, schwarzen Wasserläufen und -fällen, kuscheligen Schafen und einer Weite, die selbst in der Stille nach Dudelsackgebläse ruft, ist wirklich ein Seelenkick der Extraklasse. Das entschädigt alles, was bisher eher runter gezogen hat. 

Wir beziehen unsere kleine Cottage und kochen erst mal eine Stärkung und machen uns dann auf nach Killarney. Es ist Samstag Abend und wir wollen schauen, ob wir einen Pub mit Live Musik finden, denn das gehört zu einem Irlandaufenthalt nun wirklich dazu. Der Weg dahin führt hinauf auf den Berg, hinaus aus dem schwarzen Tal und dann durch das Gap of Dunloe hinab zum nahen Städtchen. Diese Straße ist die schönste, die ich je in meinem Leben gefahren bin. Ein einspuriges, kurviges  Gässchen durch diese Zauberwelt mit Flusslauf, welcher in kleine Bergseen mündet, einfach gigantisch schön. Ich komme aus dem Staunen gar nicht raus. In Killarney selbst erwartet uns eher ein touristisches Treiben, welches aber, trotzdem die Musik meist erst ab 21:00 Uhr startet, einen schönen Eindruck hinterlässt. In einem Pub entdecken wir dennoch einen jungen Musiker, der wirklich super ist, dessen Kunst aber leider durch Sportsendung auf dem TV-Bildschirm und dem bierlastigen Treiben in der engen Kneipe, zunichte gemacht wird. Als Musiker tut das in der Seele weh, aber so ist die moderne Welt nun mal. Leider. Im Dunkeln finden wir den Weg zurück durch die Berge und alle gehen zur Ruh. Nur ich sitze noch in der Küche und tippe diese Zeilen, während dessen ich mir ein Guiness aus der Dose genehmige. 

1 comment

  1. Mann oh Mann Tommy, da scheint das Familiengefüge noch einmal richtig „getestet“ worden zu sein. Aber getreu dem Motto „was nicht tötet, härtet ab“ hat es die Familie vermutlich gestärkt für neue Abenteuer – diese vielleicht nicht gleich morgen aber die Zeit wird wieder kommen. HG Markus

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