Tommy Wild

Musician, Singer, Songwriter

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SUB-Kultur

Es ist kaum zu fassen wie viele Menschen sich aus den deutschen Landen verabschieden und die Weite suchen. Aber nicht nur die, es geht darum aus der Verkopftheit zurück ins Herz zu finden, die eigene Seelentiefe zu entdecken und das Miteinander Fühlen und Teilen mit Freude zu leben. Grundsätzlich ist das überall möglich, aber wir haben den Unterschied am eigenen Leib erfahren, in der Rhön war ich wie gedeckelt, dumpf und funktionierend, wir igelten uns ein. Nicht, dass dort nicht viel Bewegung und Kreativität in den Menschen vibrierte, das tat es durchaus. Hier, im sonnigen Süden, im Feld von mutigen Andersdenkenden erschließt und entwickelt sich dennoch eine andere Wirklichkeit. Oberflächlich betrachtet mag man denken, das sind alles verrückte Hippies, aber dem ist nicht so. Um es zu verstehen, brauchte ich selber ein halbes Jahr, und noch eins und jetzt merke ich, dass wir wirklich mitten im Paradigmenwechsel die Chance haben, neu zu gestalten. Nach ein paar Tagen hier unten habe ich mehr Menschen auf Herzensebene getroffen, als den ganzen Winter über. 

Felix ergreift Initiative und stellt immer wieder das Equipment seiner KiteSurf-Schule für Familien zur Verfügung. Heute machten wir mit 13 StandUp-Boards eine wundervolle Tour entlang der roten Felsen von Marina di Gairo. Von Wind und Wasser geschliffene Felsformationen säumen die Küste. Schmale Buchten und enge Kanäle bieten ein Abenteuerfeeling (nicht nur für Kinder), was seines Gleichen sucht. Picknick an einsamen Stränden, mutiges ins Wasser springen von den Klippen und herausfordernde Paddelkünste gegen den leichten Wind, schulen körperliche Motorik, Kraft und Durchhaltevermögen. Mit den Elementen zu wirken und ihnen in ihrer Macht zu begegnen, ist erfahrungs- und lehrreicher, als jede Schulstunde in stickigen Unterrichtsräumen. Hier werden Ängste überwunden und die Kids spüren, wieviel Potential in ihnen steckt. 

Auf dem Wasser überholt uns ein ca. 80jähriger, etwas gebeugter, aber groß gewachsener Mann auf einem Board. Er trägt einen Ganzkörper-Wetsuite, eine neongelbe Schwimmweste und ist über ein Spiralkabel fest mit seinem Brett verbunden. Etwas aufgebracht spricht er mich in seinem italienischem Englischakzent an: „Are these your Kids?“ „Yes“. „Are you mad? Don’t you know how cold the water is?“ „Sure I know. A few moments ago we’ve been for a swim.“ Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. Er erklärt uns noch, dass Kinder immer mit einer Schwimmweste ausgestattet sein müssen und das ich bestimmt nicht mit einem toten Körper nach Hause fahren wolle. Zwar nehme ich mir seinen Sicherheitshinweis zu Herzen und danke ihm, dass er mich darauf angesprochen hat, aber ich begebe mich nicht in seine Denkweise. Ein wundervolles Beispiel. Wir sind ungefähr sieben Erwachsene und fast noch doppelt soviel Kids. Die Nichtschwimmer haben Schwimmwesten und sind bei Erwachsenen auf den Brettern. Alle anderen sind zu zweit oder allein darauf, aber alle in der Gruppe. In unserem Denken und Fühlen herrscht Harmonie, Lebensfreude, Naturverbundenheit usw. Dann kommt ein von Angst, Vorsicht und Sorge besetztes Denken vorbei und versucht uns umzupolen. Man muss dazu sagen, fast alle paddeln im sitzen, das Wasser ist glatt, völlig ruhig, kaum Wellengang, das Wetter stabil und schön. Wenn es das nicht gewesen wäre, wären wir dem Mann nicht begegnet, da wir nicht auf dem Wasser gewesen wären. Nein, wir sind nicht verrückt und wir sind auch nicht leichtsinnig, wir vertrauen auf unser Gefühl. Dieser Mann ist in einer Zeit groß geworden, wo es noch keine Fahrradhelme gab, nicht einmal für Motorräder waren sie Vorschrift. Es gab noch keine Sicherheitsgurte und Kindersitze im Auto, keine Babysafes und Kinder streunten in den Ferien den ganzen Tag draußen herum. Diese Kinder von damals sind heute selbst Eltern und plötzlich muss all dieses Sicherheitsgedöns sein. Warum? Wird dadurch nicht eine Welt der Angst konstruiert? Ist nicht nachweislich Bewegungsmangel und Panikattacken ein weit verbreitetes Symptom unter den heutigen Kindern und Jugendlichen? Warum wohl?Das böse Leben will uns Menschen immer nur schaden und wir müssen stets auf der Hut sein? Ich bin der Auffassung wir müssen durchaus die Gefahren kennenlernen und ein gesundes Verständnis von Angst entwickeln, und es als Signalgeber unseres Gefühls wahrnehmen und verstehen lernen. Dann werden wir instinktiv wissen, was wir uns zutrauen und was nicht. Und wenn ich dann als Mensch auch noch die Chance bekomme Ur- und Selbstvertrauen zu entwickeln, dann ist das Leben nie ein Gegner, sondern immer auf meiner Seite, mit mir und nicht gegen mich.

Eine ungewöhnliche Begebenheit:

Mit einem Bollerwagen ziehe ich meine kleine Tochter den Hügel hinauf um das Gefährt der österreichischen Besitzerin zurück zu bringen. Ich war mit den Kindern auf Materialsuche zum bauen von Tischen, Regalen und Sitzgelegenheiten gewesen. Da wir viel und schwer schleppten und sie uns dabei sah, bot sie uns ihren Wagen an. Auf halbem Weg kommt Stephanie mit einer völlig aufgelösten, weinenden Frau des Weges und sie sagt: „Gib ihr bitte mal Halt. Ich glaube eine männliche Schulter tut ihr gut.“ Und ich umarme diese Frau. Ich atme tief, spüre meine Verwurzelung mit der Erde und die Verbundenheit mit dem Himmel. Beide Ströme treffen sich in meinem Herzen, über welches ich ganz einfach Mitgefühl ausatme. Nach einer Weile beruhigt sich ihr zittriges, schockartiges Weinen etwas, bleibt aber dennoch an der Oberfläche. In diesem Moment kommt eine weitere Frau zu diesem Ort. Ich kenne sie, habe ihr Buch gelesen über einen südamerikanischen Schamanen. Sie begleitete ihn über Jahre und schrieb für ihn seine Lebensgeschichte nieder. Sie ist tief drin, in der zum Sein werdenden Welt. Zu dritt nehmen wir die Frau in unsere Mitte und schenken einfach nur unsere gebündelte Lebensenergie. Wir atmen und schützen, sind da, nichts weiter. Irgendwann lösen wir den Kreis und immer noch unter Tränen bedankt sich die Frau, beginnt sich zu schütteln und fängt mit vorerst lauten Ausatmungen an, ihren Schmerz zu entladen. Wenig später wirft sie sich zu Boden, schreit und trommelt auf der Erde. Meine kleine Tochter (3 Jahre) beobachtet die Szene sehr genau und fragt: „Was hat die Frau?“ Ich fahre mit ihr weiter den Berg hinauf und erkläre, dass „die Frau bestimmt gerade etwas schlimmes erlebt oder erfahren hat, was ihr sehr weh tut. Wenn du dir weh getan hast, dann weinst und schreist du auch und dann, ganz plötzlich, wirst du wieder ruhig und Mama oder Papa halten dich aber noch im Arm, bis du wieder bereit bist weiter zu spielen.“  „Das verstehe ich. Geht es ihr jetzt wieder gut?“…

Man stelle sich solch eine Szene mal auf einem Dorfplatz irgendwo in Deutschland, Österreich oder sonstwo vor. Mein erwachsener Sohn schenkte mir zu Weihnachten ein Buch über mehr Mitgefühl unter den Menschen, da schilderte der Autor eine ähnliche Szene im Flughafengelände eines großen amerikanischen Flughafen. Eine Frau hatte gerade vom Tod ihres Vaters erfahren und sie hing dort fest. Sie bekam einen Nervenzusammenbruch und lag weinend am Boden und hunderte von Menschen gingen an ihr vorbei, ohne zu helfen. Und welcher Erwachsene traut sich denn vor Schmerz zu schreien in aller Öffentlichkeit? Wir haben uns doch alle voll unter Kontrolle und drücken alles weg. Ist es nicht so? Wir besuchen dann Seminare in Bioenergetik, Gestalttherapie etc um das unterdrückte Gefühl wieder lebendig  werden zu lassen und schreien und weinen da. Aber wer tut es an Ort und Stelle? Dann, wenn es weh tut? Bestimmt die allerwenigsten. Ich für mich kann ganz klar sagen, dass ich es als Mann nicht gelernt habe meinen Schmerz herauszulassen, welcher Art auch immer. Dafür wurde mir vorgelebt, wie er weg zu drücken ist…

Es gibt hier zahlreiche Kreise, die sich mit den unterschiedlichsten Themen beschäftigen und alle begegnen sich auf Augenhöhe. Diese Menschen haben lange an sich selbst gearbeitet, Blockaden aufgestöbert, Traumata überwunden und Glaubenssätze losgelassen. Sie sind im Prozess einer neuen Menschwerdung begriffen, wie der ganze restliche Planet ebenso, heraus aus alten, krank machenden Strukturen und hinein in das Erschaffen einer auf Empathie beruhenden Grundhaltung gegenüber der ganzheitlichen Schöpfung. Nichts Neues? Oh doch, in dieser Bandbreite schon, das ist deutlich zu spüren und ich freue mich Teil davon zu sein.

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