Tommy Wild

Musician, Singer, Songwriter

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Krasser Wechsel

Diesmal keine Fensterkabine, sondern eine dunkle Hasenschachtel im Bauch des Schiffes. Als die Kinder schlafen, gehe ich nochmal an Deck. Hier finden sich die Raucher und Hundebesitzer, junge Cliquen in ihre Handys vertieft. Es tobt immer noch der Gewittersturm und der Fussboden schwimmt und schwappt zentimeterhoch das Wasser von einer Seite zur anderen. Im Stimmengewirr vernehme ich russisch, englisch, deutsche Dialekte, italienisch und schwizzerduitsch. Ich fühle mich wohl und freue mir ein Loch in den Bauch. Endlich wieder Reisewind um die Nase. Das ist ein Zustand, der mich noch mehr beflügelt wie Musik machen und auf einer Bühne zu stehen. In den Fluren liegen viele auf ihren Luftmatratzen, schwarze Augenklappen ersetzen die nicht vorhandene Dunkelheit zum schlafen. Ich setze mich mit dem Laptop in die Lounge und schreibe diese Zeilen. Eine One-Man-Band sitzt auf einer für ihn viel zu großen Bühne und klingt digital unterstützt wie eine ganze Bigband. Er macht einerseits einen guten Job, andererseits finde ich es gruselig. Leider habe ich nur noch ein paar Prozent Strom auf dem Akku und die Schreibmaschine verabschiedet sich viel zu früh. Dann klettere ich in das ausgeklappte obere Bett und schlafe unruhig auf der vom Schiffsmotor vibrierenden Matratze. 

Morgens gegen 6:30 Uhr gehe ich mit einem ganz aufgeregten Alfred an Deck, Sardinien liegt schon zum greifen nah vor uns im Meer. Der Wind bläst irre stark und haut den kleinen Mann fast aus den Gummistiefeln. Dann wecken wir unsere Ladies, stopfen alles wieder in die Übernachttasche und gesellen uns in das Gewimmel auf den Gängen. Alle warten auf das Signal endlich zu den Autos zu dürfen. Dann kommt der große Moment, auf den wir seit Monaten gewartet haben: Raus aus dem Bauch der Arche und hinein ins Paradies. Die Sonne geht auf und das Land strahlt uns grün entgegen. Ich will nicht schon wieder nur fahren und wir biegen ab zu einem Strand bei Budhoni. Weißer Sand soweit wir blicken können. Glückstreffer. Kaum eine Menschenseele, nur eine Frau mit ihrem Golden Retriever, der eine Verbandssocke an der vorderen linken Pfote trägt. Wir halten einen kurzen, netten Smalltalk und dann pilgern wir zur Waterkant. Alle Schuhe parken wir aufgereiht und dann hinein in den vermissten Sand und das Barfußgefühl. Die Kinder sind überglücklich und tauchen sofort ein in diese natürliche Spiellandschaft. Stephanie weint vor Berührung und ich fühle, wie meine Seele und jede Zelle meines Körpers vor Erleichterung und Freude seufzt und jauchzt. Im Nu ist eine Stunde vergangen und wir tappsen zum Strandcafe für ein kleines Frühstück. Dort treffen wir wieder auf Kerstin, die Frau mit dem verletzten Hund. Sie hat unsere Homepage durchstöbert und ist ganz interessiert. Eine weitere Stunde vergeht wie im Flug und wir tauschen uns ausgiebig aus. Toll, wie schnell hier neue Kontakte passieren. 

Dann fliegen wir weiter gen Süden. Im Frühling sieht die Insel wie frisch aus dem Ei geschlüpft aus. Eine klare Frische strahlt uns entgegen. In Meeresnähe sind schon alle Bäume mit Blättern in saftiges Grün gekleidet. Oben in den Bergen treffen wir auch hier noch auf kahle Äste und auf den Gipfeln entdecke ich einige Schneereste. Dann schrauben wir uns in engen Serpentinen nach Lanusei hinunter, von wo aus wir einen gigantischen Ausblick auf die Ogliastra haben. Wirklich königlich erhaben aus dieser Vogelperspektive. Weiter geht es nach unten bis Cardeddu, wo wir im Gemüseladen bei Roberta anhalten, um uns mit frischen Sachen zu versorgen. Prompt werden wir wieder mit einer Überraschung beschenkt. „Zufällig“ kauft gerade jemand ein, der zusammen mit Freunden von uns Land gekauft hat. Er sah meinen Namen auf dem Hänger und dachte, den habe ich schon gehört. Und eh wir uns versehen fahren wir zum Kurzbesuch aufs neue Land. Daniele hat gerade einen Bänderriss und kommt uns auf Krücken entgegen. Theatralisch schmeißt er sie von sich und kommt mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. Eine wundervolle Szene. Wir begrüßen die ganze Familie, bleiben aber nur kurz, da sie mitten im Umzugschaos stecken und alle Hände voll zu tun haben. Wir nehmen unsere SUB’s und Paddel in Empfang, die wir bei ihnen deponiert hatten, packen sie noch auf das Dach des Hängers und dann rollen wir endlich zur Bucht unseres Herzens: COCCORROCCI. Sowas von unglaublich, mein Herz schlägt bis zum Hals und es ist wie ein nach Hause kommen der besonderen Art. Ein Zuhause im Herzen, zurück im befreiten Seelenraum. Ich spüre nicht erst jetzt, dass hier im letzten Jahr etwas nahezu Unbeschreibliches in uns vorgegangen ist, aber in diesem Moment wird mir klar, wie bedeutungsvoll dieser Ort und die Menschen, die sich hier getroffen haben, für uns sind. 

Und dann treffen wir sie wieder…Ja, viele von ihnen sind noch oder wieder da und wir hören die Geschichten, liegen uns in den Armen und die Kinder, mein Gott, wie sie aufblühen und die Freiheit genießen. Das ist das echte Leben ihr Lieben! Diese innere Gewissheit vom Vertrauen und alles umfassender Liebe. Wir müssen sie nur zulassen und von all unseren Sorgen und Ängsten bereinigen, dann ist sie da und war immer da. Ein erhebendes und absolut erfüllendes Daseinsgefühl!  

2 comments

  1. hallo tommy,
    als allererstes möchte ich es nicht versäumen deiner lieben stefanie zum geburtstag zu gratulieren. sag ihr also ganz liebe glückwünsche von mir und nimm sie ganz fest in die arme.
    dann freut es mich natürlich, dass ihr gesund und munter auf sardinien angekommen seid. leider hatte ich ja dieses mal nicht die möglichkeit, mich von euch zu verabschieden. du weißt ja … ich war in leipzig. also, lieber tommy, es würde mich wirklich freuen, weiterhin von dir/euch zu hören oder zu lesen. so verbleibe ich mit lieben grüßen aus der rhön.
    euer tilo

  2. Liebe Familie,
    danke, dass ich wieder dabei sein darf auf Eurer besonderen Lebensreise.
    Schön zu lesen, wie Du Dich fühlst, und im Hier und Jetzt mit mpfangsbereiten Antennen die Momente und Geschichten einsammelst und teilst. Lasst Euch gegrüßt sein aus der Kälte von Katrin

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