Tommy Wild

Musician, Singer, Songwriter

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Vom Warten und von offenen Türen

Gerade bin ich mit den Kindern beim Zu-Bett-Gehen eingeschlummert (wer geht eigentlich zu Bett? Ich geh’ meist ins Bett). Von einem kurzen, lauten Schnarcher meiner selbst, zucke ich zusammen und wache wieder auf. So lieg ich da in diesem Zwischenzustand, abends ca. 21:30 Uhr, Körper k.o., Verstand wach, Seele haucht etwas Muße herüber und die Füße fangen zunehmend an zu zappeln. Etwas in mir will aufstehen und kreativ werden, doch der Leib ist von der Schwerkraft an die Matratze genagelt. So überblicke ich aus diesem Blickwinkel mein Tagwerk und suche nach den Erlebnissen und Wahrnehmungen, die dem Leben den eigentlichen Zauber einhauchen. Der Bau eines etwas außergewöhnlichen Etagenbetts für die Kinder ist gerade am entstehen und ich habe viel Lust und Freude an dem einfachen, handwerklichen Tun. Mein Werkzeug ist kein gutes, dennoch habe ich schon sehr viel damit gebaut und mag den Klang meiner Handsäge wesentlich lieber, als das lärmende Gekreische einer Stich- oder Kettensäge. Die Schnitte sind auch wesentlich organischer und wirken anders. Es gibt keinen festen Plan für das Bett, sein Werden und Aussehen entsteht mit dem Tun und der nächste Schritt gibt sich meist erst zu erkennen, wenn ein anderer getan ist. Es ist wundervoll so zu arbeiten und ich genieße die Freiheit zu haben inmitten meiner Familie so wirken zu können. Die Kinder verfolgen die Arbeitsschritte, kommen immer wieder vorbei, stellen Fragen, legen selbst Hand an, verstehen Zusammenhänge, erkennen die Mühe und Kraft, die es kostet, bekommen eine Wahrnehmung von Zeit, die man für all das braucht etc. und sehen wie ihr Bett wächst. Wir sind zusammen! Nicht Papa und Mama woanders an der Arbeit, Olivia nicht im Kindergarten, Alfred nicht in Schule, sondern wir sind zusammen. Arbeit, Spiel, Wissen, Bewegung, Nahrungszubereitung und natürlich essen und genießen…, alles bei- und miteinander. Das fühlt sich nicht nur gut und richtig an, sondern vor allem ganz und nicht zerstückelt. So sollte es immer sein!

So sinniere ich immer noch an der Matratze klebend durch meinen Tag und ich spüre tief unter all dem, eigentlich glücklich daher kommenden Sein, eine Art Rumoren. Etwas, das will, das sich was ändert. Etwas, das einen Zustand herbei sehnt, der besser ist als der Jetzige. Etwas, das denkt, dass es wo anders und wann anders, besser sein muss als hier und jetzt. Eine Sehnsucht nach einem Zustand, der vollkommener ist. Ein Warten auf das Ende von Unzufriedenheit und Mangeldenken, vom eintreten von Fülle und Liebe, frei von Zwang und Unfreiheit. Und ich stelle wiederum mit Entsetzen fest, dass ich wohl die meiste Zeit meines Lebens mit Warten und Hoffen zugebracht habe, dass dieser Zustand endlich eintrifft, so wie ein verspäteter Zug, der nach langer Wartezeit endlich in den Bahnhof einfährt. Es gibt kurze Momente in denen es annähernd „gut“ ist, das Leben, dann wieder weg, wieder Routine und Alltag, fremdgesteuertes Funktionieren, abhandeln, durchkämpfen, ertragen und warten, bis endlich wieder so ein Moment entsteht. 

Ich bin in der grandiosen und glücklichen Situation, dass ich ein halbes Jahr hinter mir habe, in denen ich wenig gewartet habe, sondern drin war in diesem Zustand, oder besser, die Umstände waren so, dass ich dieser Zustand war.

Und jetzt bin ich in der alten Umgebung/Ordnung und das rumorende Gefühl des Wartens auf bessere Zeiten und Orte, grummelt unterirdisch wieder sein grollendes Grollen. „What the firetruck is going on here?“ Guck dich um, hier oben in der Rhön ist es genauso super wie in Coccorrocci, nur das Meer fehlt.

Ein ähnlicher, doch anderer Aspekt streift meine Erinnerung. Die Begegnung mit Nachbarn, Bekannten und sogar Freunden und Familie, erweckt in mir oft das Gefühl von getrennt sein. Das ist mir seit unserer Rückkehr öfter aufgefallen. So, als würde ich nicht dazu gehören. Die sind anders. Ich bin anders. Die verstehen mich gar nicht und ich kann sie nicht verstehen, ihr Handeln und Denken ist mir fremd und umgekehrt. Selbst mit vermeintlich Gleichgesinnten geht mir das so und ich frage mich, warum ist das so?  

Dem Himmel sei Dank, ich kenne aber auch genau das Gegenteil. Ich fühle mich jemandem so nah und vertraut, warm und wohl ist mir dann, obwohl ich den- oder diejenigen vielleicht gerade erst kennen gelernt habe. Beim „Biodanza“ geht mir das regelmäßig so: Ohne Worte komme ich im Tanz fremden Menschen so nah, als ob unsere Herzen und Seelen ein offenes Buch sind und wir die Einladung spüren darin zu lesen. Ja, dieses Bild der offenen Herzen passt gut. Wenn jemand seine Herzenstür geöffnet hat, dann fühle ich mich in seiner Gegenwart willkommen und zuhause, egal wo und unter welchen Umständen. Sind die Türen hingegen zu, dann fühle ich mich außen vor. Auch hier stelle ich mit Schrecken fest, die meiste Zeit in meinem Leben stehe ich vor verschlossenen Türen und dann bleibt meine halt auch zu, basta. Vordergründig sind wir vielleicht nett miteinander, finden uns sympathisch, haben vielleicht sogar gleiche Vorlieben, Interessen, Anschauungen, aber dennoch empfinde ich mich als ausgeschlossen und fühle Unnahbarkeit.    Herz zu! So eine Erkenntnis macht mich nicht nur traurig sondern erschreckt mich. 

Da ich die Welt als meinen Spiegel betrachte und wir auf unserer Reise so vielen offenen Herzen begegnet sind, ist es mir ein Bedürfnis meine Tür nicht mehr zu verschließen. Ich glaube zu wissen, dass wir alle, genau wie unsere Haustüren, unsere Herzenstüren verschließen, weil wir Angst haben und uns schützen wollen gegen die vermeintlich schlechte und böse Welt da draußen. Doch was du da draußen siehst, ist nichts anderes als dein eigenes Inneres. So erziehe ich mich weiterhin um und lasse oft die Türen meines Wagens und der Wohnung offen. Und übrigens, in Sardinien hatten wir gar keine Türen…

Dieser Gedanke macht mich leicht und mit federndem Schwung richte ich mich gegen die magnetische Anziehungskraft meiner Matratze auf und mache mich ans Schreiben. Here we are!

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