Tommy Wild

Musician, Singer, Songwriter

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Blau

Wir sitzen im Café  mit Freunden aus Südtirol und lassen das miteinander Erlebte noch einmal Revue passieren und tauschen unsere Telefonnummern aus. Im September wollen wir uns hier auf jeden Fall wiedersehen. Markus hat uns abends mehrfach mit einer Tanzsession aus der Methode „Rio Abierto“ beschenkt und wir erlebten uns sehr befreit und spielerisch dabei. Er ist ebenfalls Musiker und schreibt gerade ein Buch, welches im August fertig sein soll. Als Südtiroler kann er italienisch und ich bitte ihn zu dolmetschen, da ich den Chef des Platzes fragen möchte, ob und zu welchen Bedingungen ich hier Musik machen könnte. Zwei Minuten später sitzen wir mit Marcello zusammen und handeln einen Deal aus. Seitdem gebe ich jeden Freitag ein kleines Concerto in der Bar von Coccorrocci, was total Spaß macht. Ich spiele „auf Hut“ und habe für den Aufenthalt hier Sonderpreise bekommen. Das finanziert uns zwar nicht alles, unterstützt unsere Reisekasse aber so, dass wir gut über die Runden kommen und ich meine Symptome des Mangelbewusstseins etwas lindere.

Mir fehlt nur das italienische und sardische Songrepertoire um die Leute voll zu beglücken. Mit „Volare“ landete ich vergangenen Freitag auf jeden Fall einen Volltreffer. Ob ich neben all den Alltäglichkeiten noch schaffe mir mehr zu erarbeiten, wird sich zeigen.

Die Musiknacht war lang und der Schlaf kurz, aber beim Frühstück entscheiden wir uns für einen Ausflug Richtung Arbatax. Es soll schöne Strände geben in der Nähe und ich will uns einen Entsafter kaufen. Den finden wir auch schnell und in einem kleinen sardischen Shop erstehen wir noch ein paar getöpferte Müslischalen, Dann parken wir am Hafen. Alfred will gerne Boot fahren und Stephanie verhandelt mit einem Bootsvermieter auf englisch und spanisch. Unversehens und nicht geplant, chartern wir ein Motorboot und ruckzuck sind wir an Bord der kleinen Nussschale. Es ist das erste Mal, dass ich ein Boot steuere. Eine kleine Proberunde im Hafenbecken mit dem Skipper, einparken, ihn rauslassen, Daumen hoch und losgeht’s. Als wir die schützende Kaimauer des Hafens verlassen treffen wir gleich auf die Wellen des Meeres. Oh Gott. Die Kiste fängt an zu schaukeln und jeder Wellenberg fühlt sich an wie in einer Achterbahn. Wir empfinden uns recht klein in dem großen Wasser. Das flößt immens Respekt ein. Alfred besingt mantramäßig die Wellen, auf das sie schwächer werden. Am Strand besang er sie vor ein paar Tagen, dass sie größer würden, und er fand, sie gehorchten ihm. Doch bei dem kleiner werden scheinen sie nun nicht auf ihn zu hören, kein Wunder, bei dem Motoren- und Windlärm…

Die Wellen kommen schräg seitwärts von rechts, wie heißt das nochmal in Schiffssprache? Keine Ahnung, aber das ist meiner Magengrube auch ziemlich egal, sie fühlt sich unweigerlich mulmig an. Nach einer kurzen Weile habe ich mich daran gewöhnt. Ich steuere im Stehen und gleiche die Bewegungen tanzend mit dem Körper aus. Stephanie sitzt mit Olivchen im Arm und da kommen die Schläge der am Bug aufklatschenden Wellen eher hart. Olivia ist etwas ängstlich und hilft sich damit einfach einzuschlafen. Alfred will anfangs dauernd umkehren, aber später findet er es immer besser. Selbst zu steuern probiert er zwar kurz, ist ihm aber nicht geheuer. Wir fahren an der steilen Felsenküste der Ogliastraentlang und es ist ein gigantisches Gefühl diese aufragenden alten Steinwände hunderte von Metern neben sich in den Himmel wachsen zu sehen. Mauersegler, Seeschwalben, Möwen und Kormorane düsen an ihnen entlang. Es gibt viele bizarre Löcher und Verformungen im Fels, die ihnen Schutz für ihre Nester bieten. Wir entdecken Tropfsteinhöhlen vom Meer aus und je weiter wir fahren bemerken wir das Wunder der Meeresfarbe, welches sich zuerst langsam zu einem tief leuchtenden Indigo verwandelt und dann in einem wirklich krass, lichtvollen Azurblau, welches ich nur aus guten Aquarellfarbkästen kenne. Unglaublich. Dann kommen endlich die Buchten der versteckten Paradiesstrände. Bei niedriger Wassertiefe verändert sich die Farbe des Wassers nochmals und ich, als Farbenblinder, bin sowas von geflasht, dass ich denke, ich sehe die Welt durch eine gefärbte Brille. Sonnenbrille habe ich gar keine mehr, da mir Olivia die Bügel abgebrochen hat…

Hier ist viel los. Wir ankern und essen unser verspätetes Mittagessen gegen 16:00 Uhr, welches aus den Resten des Frühstücks und diversem Obst und Knabbereien besteht. Bei der Schaukelei hat man irgendwie kein Bedürfnis zu essen, der Magen hat zuviel mit sich selbst zu tun. Keiner, außer mir hat Bock ins Wasser zu springen, aber das lasse ich mir nicht nehmen in dieses Farbenspiel einzutauchen, auch nicht von der pink aussehenden Qualle, die da gerade alleine am Boot vorbei zieht. Wundervoll. Wir genießen das noch eine Weile und dann müssen wir schon wieder den Rückweg antreten. Schließlich fährt so ein Bootchen nicht viel schneller als ein Mofa und der Weg über die Wellen, gegen den Wind, hatte uns fast zwei Stunden brauchen lassen, bis zu dieser schönen Bucht. Der Heimweg wird schneller gehen, da wir Rückenwind haben. Diesmal ist Stephanie „Capitano“ und sie genießt es über das Wasser zu preschen. Einmal fragt Alfred, ob das der schnellste Gang sei und seine Mama schiebt den Hebel weiter nach vorne. Hui, das geht ab, das Boot fliegt förmlich über das Wasser und Stephanie ergießt sich in ein überwältigendes Lachen, Geschwindigkeitsrausch… Sie drosselt die Kiste wieder und fährt näher an den Felswänden, wir erkunden kleine Piratenverstecke und halten dann Kurs auf ein  Inselgrüppchen. Vor uns ist ein alter Mann auf einem ebenso alten, aber blitzeblank restauriertem Segelboot. Ein tolles Fotomotiv vor den roten Felsen der Vogelinsel. Im Schutze des kleinen Eilands werfen wir nochmals den Anker, beobachten die Möwen, machen kleine Filmchen und Fotos. Dann drückt einigen die Blase und wir hüpfen zurück in den Hafen von Arbatax. Dort darf ich das Steuer wieder übernehmen, da ich im einparken angeblich besser bin (ich habe noch nie ein Boot eingeparkt…). Das aussteigen wird für Olivia kurzfristig wieder zum Albtraum, da sie schlechte Erfahrungen beim Kajakfahren gemacht hat, aber das legt sich gleich wieder und alle sind glücklich, aber k.o.

Abends, als ich auf der Matratze liege und zur Ruhe komme, stellt sich das schaukelnde Gefühl noch einmal ein und es wiegt mich in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

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