Tommy Wild

Musician, Singer, Songwriter

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Ballast abwerfen

Tag 16

Was auf dem Foto aussieht , wie eine altertümliche Landkarte von irgendwelchen zersplitterten Fürstentümern oder Inselstaaten, sind Moose und Flechten auf den Granitfelsen um uns herum. Ich war noch nicht mal fertig mit frühstücken, da rief Alfred schon: „Papa, gehst du mit mir klettern?“ Das , was wir Deutschen aus dem Odenwald als „Felsenmeer“ kennen ist im Vergleich mit diesem hier auf Sardinien, wie ein Regentropfen im Bodensee. Wir zelten eigentlich mitten in einem Meer aus Felsen und sie sind das reinste Kletterparadies. Ein schier grenzenloser Abenteuerspielplatz mit allen Herausforderungsstufen. Alfred, und Olivia mittlerweile auch, lieben es herum zu kraxeln und finden lauter Geheimgänge und Höhlen. Es gibt wirklich abgefahrene Steine. Manche sehen aus, wie ein Schweizer Käse, andere wie Dinosaurier, dann wachsen welche wie Säulen in die Höhe und und und.

Da wir immer noch auf das Ersatzteil für unser Auto warten, kleben wir da wo wir sind und finden das auch gar nicht schlimm. Hier gibt es soviel zu erkunden und ein Tag vergeht wie im Flug. Außerdem gibt es stets die alltäglichen Dinge wie Brot backen, Essen kochen, spülen, Wäsche waschen, was beim Campen stets viel Zeit in Anspruch nimmt und auch nehmen darf. Wir sind es gewohnt, dass uns Maschinen dauernd diese Arbeiten abnehmen, oder sie nebenher geschehen müssen, logistisch eingereiht in den täglichen Ablauf eines vollgestopften Tages. Wenn du aber 200m zum Wasserhahn zurücklegen musst und 50m zum Auto zurück läufst, weil du vergessen hast die Packung Nudeln mit zu bringen, dann ist das was anderes, als dich in der Küche einmal zum nächsten Schrankgriff oder zur Spüle umzudrehen. Dann werden diese Tätigkeiten zum Inbegriff des momentanen Seins, sofern man sich nicht von Ärger oder Missmut überkommen lässt und blind für das Wundervolle daran wird. Das habe ich an Campingurlauben schon immer geliebt, denn es ist eine gelebte Zen-Meditation und besitzt eine reinigende und heilende Kraft. Wie gesagt, voraus gesetzt man lässt sich darauf ein, gerne ein, ansonsten wird es zur Qual.

Genauso ist es auch mit den Kindern (schließlich befinde ich mich in Elternzeit): Wieviele Kinder müssen tagaus, tagein funktionieren nach einem Zeit- und Ortsplan, den die Welt der Erwachsenen für sie gestrickt hat? Da ich selber keinen Streß damit habe, kann ich mich voll den Bedürfnissen meiner Kinder widmen und mit ihnen auch einüben, dass ich selbst ebenfalls Bedürfnisse habe und wir auf Augenhöhe den Tag begehen. Es ist eine wundervolle Achtsamkeitsübung sich gegenseitig zu inspirieren und miteinander das Dasein zu gestalten. Kinder müssen nicht dauernd mit Projekten und Angeboten gefüttert werden, weder in der Schule noch zu Hause und am Wochenende. Sicher brauchen sie „Nahrung“ und die suchen sie sich in einem natürlichen Umfeld von selbst. Und sie sind überglücklich, wenn es Erwachsene gibt, die dies erkennen und mitmachen. Dann sind sie offen und lernbegierig und machen erstaunliche Entwicklungen. 

Hier auf Sardinien gibt es viele Homeschooling-Kinder und wir sind sehr gespannt, welche Blüten das so treibt. Es ist bestimmt nicht alles gut, was da alternativ so entsteht, aber es ist ein Aufbruch raus aus einem veralteten System, welches viel zu kompliziert und verkopft geworden ist. In der Einfachheit liegt der Schatz verborgen, den es zu heben gilt. Und einfach leben tun wir gerade, sehr einfach. Zwar haben wir viel zuviel unnötiges Zeug dabei, aber es ist wie in einem Heißluftballon, je mehr Ballast du abwirfst, um so höher kannst du aufsteigen und umso gigantischer wird der Blick auf die Welt in der du lebst. In diesem Sinne “keep it simple”.

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