Tommy Wild

Musician, Singer, Songwriter

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Taubenjagd

Dann noch eine Stunde Fahrt zum Fährhafen von Livorno, vorbei an Pisa mit dem schiefen Turm. Die untergehende Sonne verfärbt die bizarre Wolkenlandschaft in ein unglaubliches Farbenspektrum. Selbst bei diesem tristen Aprilwetter vermag die Toskana ihre Farbgewalt sogar in den Himmel zu projizieren. Doch nebst dieser betörenden Pracht, enthält sie auch etwas Unheilvolles, fast Furcht erregendes. 

An der Küstenstraße angekommen, bricht langsam die Nacht herein. Nur ein leichtes Leuchten im Westen verrät den Weg der Sonne. Doch ihr konnten wir so schnell nicht folgen und hier braust der Wind mit nur noch 7 ° C. Noch eine Rast mit Zähne putzen und zusammen packen, was mit in die Kabine soll. Stephanie setzt sich hinten zu den Kindern, da dort schon die unruhige Müdigkeit ausbricht und es stehen noch fast 4 Stunden bis zur Abfahrt bevor…

Dieses Mal finden wir den richtigen Fährhafen leicht, letztes Jahr war das eher ein Abenteuer, da uns das Navi fehlgeleitet hatte. Ich frage die Security, ob wir schon auf das Gelände können und wir checken ein, parken in der zugewiesenen Fahrlinie und warten. Alles läuft prima. Draußen blasen echt Orkanböen, Kartons fliegen waagerecht in einem Meter Flughöhe vorbei und die vermummten Fährarbeiter erinnern an Figuren aus Star Wars in einem fernen Planetensystem. Alfred kämpft mit seiner Müdigkeit, Olivia ist schon drüber und klettert mit einer unbremsbaren Energie durch das kleine Innere unseres vollgestopften Raumschiffs. Ich frage mich nach der Kippstabilität dieses 10 stöckigen Fährschiffes. Wie hoch ist der Wellengang? Wie erfahren der Kapitän…? Alfred bringt’s auf den Punkt: „Immer, wenn ich mit dem Schiff auf dem Meer bin, denke ich daran unterzugehen mit allem was dazu gehört.“

Die Stunden ziehen dahin, das Nervenkostüm wird dünner. Alfred schläft auf der Rückbank, Olivchen nach wie vor, wie ein aufgedrehter Brummkreisel. Meine Beine fangen an zu zucken und das Gähnen nimmt kein Ende. Dann endlich sind wir dran, rauf auf den Kahn, mit Hänger. Geht einfacher als gedacht, halb so schlimm wie die Tiefgarage am Gardasee. Dann raus aus der Blechkiste und hinein in die ähnlich kleine Schiffskabine. Zurechtruckeln und dann in den herbei gesehnten Schlaf in einem Bett. 

Tag 7

Ich erwache von einem schwallartig gurgelnden Geräusch, welches fontänengleich im Bett unter mir in die Nacht schießt, gleich gefolgt von einer zweiten Salve. Alfred hat’s erwischt. Der unverkennbare Geruch steigt nach oben. Schnell wie die Feuerwehr folgt nun elterliches Handeln, keine Sternstunde unserer Reise. Als alles wieder in trockenen Tüchern ist, schaue ich aus dem Fenster. Ups, wir liegen immer noch im Hafen, 2:55 Uhr, ??? Mein innerer Stimmungsbarometer sinkt plötzlich sehr schnell. Alle ungefähren Pläne für die nächsten Tage scheinen im Strudel der Nacht mit einem Mal hinweg gewischt. Kein Zelten in Coccowiki, oder wie das heißt, kein sanftes Ankommen auf der Insel. Ich zieh die Decke übern Kopf.

Gegen 15:30 Uhr erreichen wir Olbia. Wieder warten bis wir zu unserem Auto dürfen. Alfred trägt nur ein Tuch um die Beine, da seine Klamotten dem nächtlichen Überfall und dem darauf folgenden Durchfall zum Opfer gefallen waren. Wir durften aus Sicherheitsgründen nicht in die Frachträume um frische Klamotten zu holen. Wir sehen sehr bunt aus im Vergleich zu den modebewußten Italienern, deren Farben der aktuellen Saison entsprechen. Unsere kleine, blaue Bimmelbahn verlässt den Bauch des Schiffes und taucht ein in einen dichten, nassen Inselregen, 8° C, 1600 Kilometer südlich der heimatlichen Rhön und 5° kälter als bei unserer Abreise…

Wir fahren rechts ran. Während Stephanie unsere Kontakte auf der Insel nach Übernachtungsmöglichkeiten checkt, fülle ich unsere Wasserflaschen im Regen am Hänger aus dem Kanister nach und zerdeppere dabei die schöne Glasflasche. Bringen Scherben Glück? In dem Fall ja. Ich sitze gerade in einer großen sardischen Wohnung auf dem Ledersofa und tippe diese Zeilen, während meine Lieben schon in tiefstem Schlaf schlummern. Es ist zwar kalt und es gibt keine Pellets mehr zu kaufen um den Ofen zu heizen, aber wir sind untergekommen. Wieder einmal schön Kontakte aus guten Begegnungen zu haben. Auch unser Zuhause ist schon oft Unterschlupf für Reisende gewesen, stets willkommen, unkompliziert, auch in Coronazeiten, so tut es gut zu erleben, dass auch wir geholfen bekommen und morgen ist ein neuer, schöner Tag!

2 comments

  1. Was für ein Abenteuer! Möge sich weiterhin alles gut finden – vielleicht darf es diese Erfahrung sein: es geht immer auch anders – und mit Hilfe!
    Lieber Tommy, wie schön du schreibst! Ich kann euch richtig erleben mit Lachen und Klagen!
    Ich hoffe mit euch auf wärmende Sonne und schicke liebe Umarmungen!!! (Derzeit aus einer Freistunde in der Musikschule)

    Seid gegrüßt aus dem kaltstürmischen Dresden
    Susanne

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